Eine Bushaltestelle vor dem Schloß Glienicke, umgeben vom Grün des Schloßparks, nah bei der berühmten Havel-Agentenbrücke mit dem malerischen Blick auf Schloß Babelsberg und auf die Heilandskirche von Sacrow, der Verbindung zwischen Berlin und Potsdam.
Wenige Tage, nachdem in Berlin beschlossen worden war, Menschen öffentlich nur noch bargeldlos zu befördern - und damit bewußt und willentlich arme, alte oder leicht behinderte Menschen, die diese moderne Technik nicht besitzen (oder nicht besitzen wollen) oder die diese einfach nicht beherrschen, faktisch vom Transport auszuschließen.
Hier, an dieser Bushaltestelle, ist ein Ort, von dem aus viele befördert werden wollen. Und jetzt, möglicherweise, nicht mehr in den Bus hineingelassen werden.
Ein echtes Problem. Aber was wird daraus? An diesem öffentlichen Ort? Auf der Werbetafel steht es. Und Gundi Abramski entdeckte es gestern.
Was machen wir damit? Wir haben gehört, Menschen, die solche "Aufschriften" eigenhändig beseitigen, werden von Berliner Gerichten verurteilt. Also lassen wir den Spruch stehen. Sollen ihn sich andere auch ansehen!
Aber was bedeutet der Spruch (- abgesehen vom Ärger, ja der Wut über die Verantwortlichen der Öffentlichen Verkehrsmittel des Landes Berlin)?
Ich vermute: Der Ort industrieller Vernichtung von Juden ist heute für manche Synonym für etwas furchtbar Schreckliches, das ihnen selbst droht oder geschieht. Er soll für sie, in ihren Augen, das an der Grenze Liegende oder eben das Über die Grenze Gehende, Nicht zu Ertragende bezeichnen.
Auschwitz war das Jenseits der Grenze Liegende. Doch es war unsagbar mehr: es war das Tödliche. Das ist einer der vielen, tiefen Unterschiede: Nichts, gar nichts in unserer Erfahrung hat auch nur entfernt Ähnlichkeit mit dem, was an jenem Ort vorsätzlich und millionenfach und endgültig geschah.
Was ist hier, im Idyll von Berlin-Wannsee, passiert? Was ist gemeint? Heute und jetzt? Fühlt man sich bargeldlos ins Aus (der Nichtmobilität und des Ausgestoßenseins) geschickt? Oder will man, deshalb, jemanden dorthin schicken? Wen? Diejenigen, die das bargeldlose Verdikt über Berlin verhängt haben? Wünscht man ihnen den Tod - und eine bargeldlose Reise dorthin?
Nachdem ich das Foto am Abend erhalten hatte, konnte ich kaum schlafen. Wannsee ist der Ort der "Wannseekonferenz"! Hier wurde einst, ganz amtlich, der industrielle Mord an Juden beschlossen.
Wie reden wir in dieser Gesellschaft miteinander? Was denken wir übereinander? Was (ver)wünschen wir einander? Und wie verdreht verzweifelt wird die eigene Lage empfunden?
Wenn dieses möglich ist, die Aufschrift im schönsten Idyll, ist vieles möglich. Zu viel.
Meine Antwort: Hören wir auf, einander "endgültig" abzuurteilen, aufzugeben und auszugrenzen, "total" zu verdammen und auszuschließen. Stellen wir stattdessen die Tabus des Miteinanderredens ins Abseits und schauen wir uns als Menschen an. Nur dann kann der "Schaden Deutschlands" geheilt werden.
Sonst geht es weiter, bis zur nächsten Hölle.
Und da wir dabei sind, nehmen Sie doch, als Anregung, auch den neuesten rainStein-Roman: "Hinter dem Schweigen" von Hanna Ringena in die Hand. Hier liegen Antworten bereit.
PS: Das titelgebende Bild des Blogs "Grenzgarten" wurde vom Schloß Babelsberg zu eben dieser oben erwähnten Glienicker-Brücke hin gemacht.